Ein Jahr lang hat das Forschungsprojekt Cyborg Cook das alltägliche Kochen in „Smarten“ Küchen erforscht und dabei Menschen in ihrem Zuhause besucht, Einkäufe begleitet, Nahrungszubereitung beobachtet und oft auch mitgegessen. Diese ethnographischen Fallstudien lieferten spannende Ergebnisse und es zeigte sich: Ob digitalisiert oder nicht, Wohnverhältnisse sind noch nie alltäglich gewesen. Doch was bedeutet das konkret? Und wie nutzen Ethnograph*innen diese Ergebnisse? Dieser Blog-Eintrag fasst einen Vortrag zum Thema Smart Kitchen zusammen, den Dr. Katharina Graf gemeinsam mit einem Kollegen am 17. November 2023 auf der Jahrestagung der DGS Frauen- und Geschlechterforschung in Osnabrück hielt.
The research project Cyborg Cook spent one year researching everyday cooking in „smart“ kitchens: visiting people in their homes and accompanying them shopping, observing food preparation and often eating with them. These ethnographic case studies delivered exciting results and showed that, whether digitalised or not, living conditions have never been just a routine. But what does that mean concretely? And how do ethnographers use these results? This blog entry summarises a lecture on the topic of smart kitchens that Dr Katharina Graf gave together with a colleague on November 17, 2023 at the annual conference of the DGS Women’s and Gender Studies in Osnabrück. Read the English version below!
Der Begriff „Alltag“ suggeriert Routinen: Gleichförmig wie alle Tage verläuft das Leben. Spätestens die Corona-Pandemie hat uns allen aber deutlich vor Augen geführt wie instabil, ja fragil alltägliche Wohnverhältnisse sind. Die seitdem rasant steigenden Lebenshaltungskosten tun ihr Übriges. Insbesondere routiniert scheinende Abläufe und Verhältnisse des Wohnens, wie z.B. Nahrungszubereitung oder auch Energienutzung, wurden durch mehrfache Lockdowns und Preissteigerungen (oftmals unfreiwillig) infrage gestellt und neu verhandelt. Doch Alltage sind auch außerhalb von Krisen instabil und sie sind, ja mussten es immer schon gewesen sein. Denn Alltage und sogenannte Routinen werden ständig neu verhandelt.
Diese Verhandlungen oder Anpassungen sind zentrales Interesse ethnographischer Forschung, denn sie haben oft experimentellen Charakter. Sie finden nicht nur zwischen diversen miteinander lebenden Menschen statt, sondern auch zwischen Menschen und ihren technischen Geräten, zwischen verschiedenen Geräten, sogar zwischen Geräten und weiteren materiellen Gegebenheiten und Infrastrukturen. Ziel jeder Verhandlung ist es, ein Gefühl von Alltag herzustellen – bis es erneut nötig wird, nachzuverhandeln.
Vor allem zwei Erkenntnisse aus dem Projekt werden hier aufgegriffen: Erstens, alltägliche Interaktionen zwischen Haushaltsmitgliedern und digitalen Küchenmaschinen sind gar nicht so alltäglich wie oftmals angenommen und waren dies auch niemals. Zweitens, diese Interaktionen werden vor allem von Frauen initiiert, entgegen der allgemeinen Annahme, dass Smart Home Technologien vor allem männlich bestimmt seien.
Im Smart Home – also einem Wohnumfeld, welches unter Einsatz von technischen Systemen sowie teil-automatisierten und vernetzten Verfahren gehandhabt wird – werden diese Verhandlungen ganz besonders deutlich sichtbar. Hier sind Alltage kontinuierlich im Werden, aber nie wirklich dauerhaft vorhanden. Gleichermaßen zeigen historisch-feministische Studien zur Technisierung von Haushalten seit Jahrzehnten, dass Technik-Verhältnisse kontinuierlich in Verhandlung begriffen sind.
Als Ethnograf*innen präsentieren wir Forschungsergebnisse in sogenannten „Vignetten“. Eine ethnographische Vignette ist ein stilistisches Mittel, um Forschungsergebnisse anhand von Erfahrungen im Forschungsfeld zu verdeutlichen. Die Vignette präsentiert eine komplexe und alltagsnahe Situation in kurzen Geschichten in Text-, Audio- oder auch Videoform. Aus dieser so beschriebenen Situation heraus können Denk-, Verhaltensweisen und Interaktionen der Forschungsteilnehmenden analysiert werden. In der Alltagssprache würde man Vignetten vielleicht als „Beispielssituation“ bezeichnen.
Im ersten Beispiel, bzw. in der ersten Vignette, geht es um die Nutzung des Smartphones beim Lebensmitteleinkauf, hier aus Sicht der Projektleiterin beschrieben:
Mirko und seine Frau Tessa nutzen eine synchronisierte Einkaufsliste. Die Einkaufsliste wird von beiden zu unterschiedlichen Tageszeiten mit fehlenden Lebensmitteln und Artikeln des alltäglichen Gebrauchs gefüllt. Per Klick kann die Liste live beim Einkaufen abgehakt werden, auf beiden Smartphones wird der Gegenstand dadurch automatisch gelöscht. Soweit zur Theorie.
In der alltäglichen Praxis kommt es jedoch kontinuierlich zu kleinen Anpassungen. So auch als ich eines Tages Mirko beim Einkaufen im Supermarkt begleitete. Direkt beim Eingang in den Supermarkt zückte er sein Smartphone und studierte die Einkaufsliste. Ich bat ihn, seine Gedanken für mich zu verbalisieren. Er erläuterte, dass er in diesem Laden nicht durchgängig LTE habe, wodurch die App nicht kontinuierlich synchronisiere. Er wisse mittlerweile „so ungefähr“, in welchen Regalreihen er Verbindung habe und in welchen nicht. Da es schon später Nachmittag sei, mache er sich Sorgen, dass Tessa auf dem Rückweg von der Arbeit in Frankfurt spontan einkaufen gehen könnte. Er wolle vermeiden, dass sie etwas doppelt einkauften. Also bliebe er hier kurz stehen, um sich zu vergewissern, dass die Liste aktualisiert sei.
Außerdem, fügte Mirko mit einem Blick vom Smartphone ins Regal voller Eier vor ihm, an, müsse er jetzt online nachschauen „was genau regional eigentlich hier heißt“. Das mache er immer dann, wenn er die Namen der Anbieter nicht zuordnen könne, so wie an diesem Tag. Er gab den Namen des billigsten der drei Anbieter regionaler Eier in die Suchmaschine seines Smartphones ein und vergewisserte sich, dass die Eier nicht von allzu weit herkommen. Bingo! Auf Nachfrage wie er „regional“ verstehe, nannte Mirko keine Kilometerzahl, erklärte aber, dass zwar „regional“ auf einer Verpackung draufstehe, „die dann aber doch aus Holland kommen“. Für ihn keine Option: „Eier müssen schon hier aus der Ecke kommen, aber ich will auch keine überteuerten Bio-Eier kaufen“.
Dieses eher unkonventionelle Beispiel bestätigt was Forscherinnen wie Ruth Schwartz Cowan (1983) bereits anhand von früheren Küchentechnologien wie dem elektrischen Herd oder der Mikrowelle zeigten: nämlich, dass neue Haushalts- und Küchentechnologien – wozu das Smartphone zählt – kontinuierlich Reflektionen aufseiten der Hausfrau (oder des Hausmannes) erfordern. Selbst routiniert wirkende Mikro-Praktiken wie das Einkaufen (und die Auswahl von Eiern) erfordern im Umgang mit Technik körperliche und gedankliche Anpassungsarbeit.
Während dieses Beispiel vermuten lässt, dass die alltägliche Arbeit der Nahrungsversorgung im Smart Home ungeschlechtlich ist, wird jedoch mit dem nächsten Beispiel das Gegenteil aufgezeigt. Denn von Ausnahmen wie diesen abgesehen, ist die tägliche Arbeit der Nahrungsversorgung nach wie vor Aufgabe von Frauen, insbesondere in Haushalten mit Kindern. Dies hat sich seit Schwartz Cowans Beobachtungen nicht geändert: im Laufe der Industrialisierung des privaten Wohnraums in Europa oder Nordamerika wurde zwar die häusliche Arbeit von (Ehe)Männern und Kindern dank immer neuer Technologien wegrationalisiert, die der Frau jedoch nicht. Diese wurde vielmehr mit jeder neuen Technologie re-organisiert.
Im Kontext des Smart Homes ist es trotz dieser Erkenntnis wichtig hervorzuheben, dass Frauen – insbesondere Mütter – auch als technologische Pionierinnen wahrgenommen werden sollten. Dies betrifft nicht nur die Nutzung des Smartphones beim Einkaufen, Zubereiten oder Verzehren von Lebensmitteln, sondern auch Küchenmaschinen wie den Thermomix. Denn insgesamt waren in der Forschung Frauen (v.a. Mütter) digitalen Küchentechnologien gegenüber aufgeschlossener und im Umgang kompetenter als Männer; und zwar sowohl in Familienhaushalten, als auch in Haushalten ohne Kinder.
Der Thermomix (eine digitale und internetfähige Küchen- und Kochmaschine, die auch per App mit tausenden Rezepten versorgt wird) ist ein gutes Beispiel hierfür: Von der Kaufentscheidung, der Anschaffung und Installation bis hin zur Nutzung und Wartung sind Frauen deutlich involvierter und kenntnisreicher. In den betroffenen Haushalten wurde die Maschine mit der Erwartung angeschafft, dass die alltägliche Nahrungszubereitung durch sie schneller ginge, ja sogar routinierter werde. Doch Inge, Ehefrau und Mutter von drei Kindern, drückt es so aus: „Es ist irgendwie witzig: ich koche nicht weniger seit wir den Thermomix besitzen. Ich koche mehr!“ Diese Veränderungen wurden trotzdem als positiv wahrgenommen. Inge „koch[t] ja eigentlich gern“. Außerdem eliminiere die Maschine das Risiko: „es kann ja nichts wirklich schiefgehen“. So ermögliche es die Maschine „immer wieder etwas Neues auszuprobieren“. Auch zwei Jahre nach Anschaffung des Thermomix, so Inge, habe sie noch nicht alle Funktionen und Möglichkeiten erschöpft. Andere Köchinnen betonten ebenfalls, dass das Kochen und Ausprobieren neuer Rezepte mit dem Thermomix und via App einfach Spaß mache.
Abschließend sei also mindestens zweierlei festgehalten: digitale Küchenmaschinen wie das Smartphone oder der Thermomix re-organisieren alltägliche Praktiken der Nahrungsversorgung, ähnlich wie technologische Innovationen im häuslichen Umfeld seit mehr als 100 Jahren, und stellen dabei seit jeher die Stabilität von Alltag infrage. Gleichzeitig tragen smarte Küchentechnologien auch dazu bei diese Praktiken ganz bewusst zu ent-routinisieren. In einer gesellschaftlich nach wie vor geschlechtlichen Praxis wie der Nahrungsversorgung ist es daher ebenso wichtig, auch die positive Wahrnehmung der Forschungsteilnehmerinnen hervorzuheben, die die digitalen Möglichkeiten den Koch- und Essalltag anzupassen und zu verändern täglich nutzen und vor allem schätzen.
The term „everyday life“ suggests routines: life is the same every day. However, the COVID-19 pandemic has made us realise just how unstable, even fragile, everyday life is. The rapidly rising cost of living since then has done the rest. In particular, seemingly routine processes and living conditions, such as food preparation or the use of energy, have been called into question and renegotiated (often involuntarily) by repeated lockdowns and price increases. But everyday life is also unstable outside of crises and, indeed, always has been. Because everyday life and so-called routines are constantly being renegotiated.
These negotiations or adaptations are a central interest of ethnographic research, as they often have an experimental character. They take place not only between various people living together, but also between people and their technical devices, between different devices, or between devices and other material conditions and infrastructures. The aim of every negotiation is to create a sense of everyday life – until it becomes necessary to renegotiate again.
Below we share two insights from the project: First, everyday interactions between household members and digital kitchen machines are not as commonplace as is often assumed and never have been. Secondly, interactions with new technologies are primarily initiated by women, contrary to the general assumption that smart home technologies are rather male-dominated.
In the smart home – i.e. a domestic environment that is managed using technical systems and partially automated and networked processes – these negotiations are particularly visible. Here, everyday life is constantly in the making, but never really permanent. Similarly, historical-feminist studies on the mechanisation of households have shown for decades that technological relations are constantly being negotiated.
As ethnographers, we present research findings in so-called „vignettes“. An ethnographic vignette is a stylistic means of illustrating research results based on experiences in the research field. The vignette presents a complex and everyday situation in short stories in text, audio or video form. The situation described in this way can be used to intuitively analyse patterns of thought, behaviour and, in particular, interactions of the research participants.
The first example, or the first vignette, is about the use of smartphones when grocery shopping, described here from the perspective of the project leader:
Mirko and his wife Tessa use a synchronised shopping list. The shopping list is filled by both of them at different times of the day with missing grocery and everyday items. The list can be ticked off at the click of a button while shopping, which automatically deletes the item on both smartphones. So much for the theory.
In everyday practice, however, small adjustments are constantly being made. This was the case one day when I accompanied Mirko to the supermarket. As soon as he entered the supermarket, he pulled out his smartphone and studied the shopping list. I asked him to verbalise his thoughts for me. He explained that he didn’t always have LTE in this shop, which meant that the app didn’t synchronise continuously. He knew „roughly“ which rows of shelves had a connection and which did not. As it was already late afternoon, he was worried that Tessa might spontaneously go shopping on her way back from work in Frankfurt. He wanted to avoid them buying something twice. So he stopped here briefly to make sure the list had been updated.
What’s more, Mirko added, glancing from his smartphone to the shelf full of eggs in front of him, he quickly had to look online to see „what exactly regional actually means here“. He explained that he always does this when he can’t recognise the names of the suppliers, as he did that day. He typed the name of the cheapest of the three regional egg suppliers into the search engine on his smartphone and made sure that the eggs didn’t come from too far away. Bingo! When asked how he understood „regional“, Mirko didn’t give a number of kilometres, but explained that although it says „regional“ on the packaging, „they do come from Holland“. Not an option for him: „Eggs have to come from around here, but I don’t want to buy overpriced organic eggs either“.
This rather unconventional example confirms what researchers such as Ruth Schwartz Cowan (1983) have already shown regarding earlier kitchen technologies such as the electric cooker or the microwave: namely that new household and kitchen technologies – which include the smartphone – require continuous reflection on the part of the housewife (or househusband). Even seemingly routine micro-practices such as shopping (and choosing eggs) require physical and mental adjustment when dealing with technology.
While this example suggests that the everyday work of providing food in the smart home is ungendered, the next example shows the opposite. Apart from exceptions like this, the day-to-day work of providing food is still the task of women, especially in households with children. This has not changed since Schwartz Cowan observations: in the course of the industrialisation of private living space in Europe or North America, the domestic work of (married) men and children has been rationalised away, thanks to ever new technologies, while that of women has not. Rather, it was reorganised with each new technology.
Despite this fact, it is important to emphasise that women – especially mothers – should also be perceived as technological pioneers. This applies not only to the use of smartphones when shopping, preparing or eating food, but also to kitchen appliances such as the Thermomix. Overall, this research shows that women (especially mothers) were more open to digital kitchen technologies and more competent in their use than men, both in family households and in households without children. The next vignette illustrates this.
The Thermomix (a digital and internet-enabled kitchen and cooking robot that is also supplied with thousands of recipes via an app) is a good example of this: From the purchase decision, acquisition and installation through to use and maintenance, women are significantly more involved and knowledgeable. In the households concerned, the machine was purchased with the expectation that it would speed up everyday food preparation and even make it more routine. But Inge, wife and mother of three, puts it this way: „It’s kind of funny: I haven’t cooked less since we got the Thermomix. I cook more!“ These changes were nevertheless perceived as positive. Inge „actually likes to cook“. The machine also eliminates the risk: „nothing can really go wrong“. The machine makes it possible to „always try something new“. Even two years after purchasing the Thermomix, Inge says she still hasn’t exhausted all the functions and possibilities. Other cooks also emphasised that cooking and trying out new recipes with the Thermomix and via the app is simply fun.
In conclusion, at least two things should be noted: digital kitchen appliances such as the smartphone or the Thermomix re-organise everyday food supply practices, similar to technological innovations in the home for more than 100 years, and have always questioned the stability of everyday life. At the same time, smart kitchen technologies are also helping to deliberately de-routinise these practices. In a socially still gendered practice such as food provision and preparation, it is thus important to emphasise the positive perception of our research participants, who use and above all appreciate the digital possibilities to adapt and change everyday cooking and eating on a daily basis.